DIE HEILIGKEIT DES LEBENS
(+ Karl Josef Romer, Bischof
Sekretär des Päpstlichen Familienrates)
1) Mit geklärter Kritik, gläubig die Schrift lesen
- Weder Mythen, noch moderner Ereignisbericht
- Was sind Mythen?
- Das neue literarische Genus: heilsgeschichtliche Aussage über Gott und Mensch, Geschichte mit realem Anfang und wirklicher Zukunft
- Der absolute Einbruch im Bericht: „Lasst uns den Menschen machen!“ (Gen 1,27)
2) Gottes Bild und Gleichnis
- Der Mensch soll einzig Gott zueigen sein
- Ureinsamkeit des Menschen in der Welt
- Die Zweigeschlechtlichkeit als voller Ausdruck des Gottesbildes und Weg zu Gott
- Die Entfremdung
- Neue Hoffnung: Gott will alles sein für den Menschen
3) Geschöpf des Dreifaltigen Gottes
3.1 Daten der Bibel
3.2 Lehre der Kirche
3.3 Die Fülle unserer Berufung
4) Erschaffen in Christus, durch Christus, auf Christus hin
4.1 im Johannesevangelium und bei Paulus
4.2 Protologie und Eschatologie
4.3 das kosmische Christuslied der Kirche
Die Heiligkeit des Lebens
Literatur:
Scheffczyk Leo, Schöpfung als Heilseröffnung, in: Leo Scheffczyk und Anton Ziegenaus, Katholische Dogmatik, dritter Band.
Gross Heinrich, Theologische Exegese von Genesis 1-3, in: Mysterium Salutis II (hrsg. Von J. Feiner u. M. Löhrer), Einsiedeln 1967, 421-463 (dt).
Scheffczyk Leo, Einführung in die Schöpfungslehre, Darmstadt 31987.
Ziegenaus Anton, „Als Mann und Frau erschuf er sie“ (Gen 1,27). Zum sakramentalen Verständnis der geschlechtlichen Differenzierung des Menschen, in: MThZ 31 (1980) 19-32.
Schmaus Michael, Der Glaube der Kirche, III 21979.
Vorwort
Wer glaubt, dass der Mensch von Gott geschaffen ist, muss glauben, dass dieser Mensch im innersten Wesen, im Herzen Gottes seinen Anfang nimmt. Die Existenz dieses Geschöpfes muss in der Welt Lob und Preis der Herrlichkeit Gottes und den Mitmenschen heilswirkend Leuchte sein. Der Mensch ist nicht eine Emanation Gottes, aber in Liebe und Wahrheit nach Gottes Bild gemacht. Daher existiert er um von Gott sichtbares Zeugnis zu geben. Die Heiligkeit des menschlichen Lebens ist Teil eines grossen Schöpfungsplanes, in dem Gott in freier Liebe sich selbst ausspricht.
1) In geklärter Kritik, gläubig die Schrift lesen
- Weder Mythos noch moderner Beobachtungsbericht
„Die grundlegenden Aussagen über den christlichen Schöpfungsglauben finden
sich bereits auf den ersten Seiten des Alten Testamentes, im … priesterschriftlichen Bericht (Gen 1,1-2,4a) und in dem älteren, mehr anthropomorph gehaltenen, jahwistischen Text“ (Gen 2,4b-3,24) (Scheffczyk, III,59[1]).
Der Text (Gen 1-11) darf weder rein wörtlich genommen werden, als ob es sich,
modern gesagt, um den Bericht einer versteckten Kamera handeln würde. Ebenso wenig wird dem Text gerecht, wer ihn, wie die Aufklärung es versuchte, als Mythos abtut. Es ist nützlich die wesentlichen Unterschiede zwischen Mythos und Schöpfungserzählung festzuhalten.
- Was sind Mythen?
Der Mythos steht im Gegensatz zur biblischen Erzählung. Für die
Aufklärung besteht Gen 1-3 einzig aus zusammengefügten Stücken mythischen Ursprunges, die phantasievoll das Unerklärbare des Anfanges illustrieren wollen. Es wäre wichtig, hier überlegen zu können, worin denn die Mythen eigentlich bestehen. Der Mythos will eine gewiss Welterklärung geben; jedoch zielt er nicht auf das Verhältnis von Mensch zu Gott. Der Mythos will in einer Retro-Projektion besonders die von allen Menschen erlebten, natürlichen und zyklischen Gegebenheiten der Welt (wie das Werden und Sterben der Natur und des Menschen selber) kausal erklären. Diese Erklärung ist ohne direkten Einfluss auf die Gestaltung der Geschichte von heute[2]. Im Allgemeinen, können wir sagen, sind die Götter ein Teil des grossen Werdens der Welt; als dessen erste Phase sind sie höherer Qualität, und deshalb den Menschen überordnet.
1.3 Das literarische Genus des Schöpfungsberichtes (Glaube und Schöpfung als Beginn der Heilsgeschichte)
Der biblische Bericht, hingegen, der zwar ohne Bedenken gewisse illustrierende, der mythischen Anschauung entnommene, Kategorien gebraucht, ist dezidiert anti-mythisch. Dazu gehören unter anderem:
- Das Hauptelement ist die absolute Bezogenheit auf Gott.
- Das absolute Fehlen jeglicher Spur des Kampfes zwischen Gott und Natur,
- Das Verb „bara’“ (erschaffen), das Gottes Tun in absoluter Souveränität zeigt („und Gott sprach … und Gott schuf … und so war es gut“);
- Vor allem sind jegliche astrale Kräfte seinem Tun streng unterworfen;
- Die Natürlichkeit, mit der von der Zweigeschlechtlichkeit gesprochen wird, ohne zu dämonisieren oder zu sakralisieren,
- Alle Dinge sind in ihrer Ordnung und Wahrheit Ausdruck des Schöpferwortes, fern von aller Magie und Zauber, haben sie eine rationale Erkennbarkeit.
- Alles wird ausschliesslich in der Abhängigkeit von Gott, und erst von daher in gegenseitiger geschöpflicher Beziehung gesehen;
- Dadurch, dass die 11 „vorgeschichtlichen“ Kapitel der Abrahamgeschichte vorgebaut sind, wird klar, dass auch dieser Schöpfungsbericht als reale Tat des in der Abrahamgeschichte sich allmächtig erweisenden Gottes zu sehen ist. „Das Urgeschehen steht in einer Analogie zur Realgeschichte der Väter“ (Scheffczyk, III,63)[3].
1.4 Der absolute Unterschied: der Menschen ist mehr als ein Geschöpf
In grandioser Beschreibung wird das Wort „bara’“ (erschaffen) gebraucht. Es ist „ein terminus technicus des AT, ausschliesslich dem Tun Gottes vorbehalten“[4]
In Gen 1-3, und 4-11, ist alles ausgerichtet auf die Beschreibung des Verhältnisses von Gott und Mensch. Damit gibt Gen 1-11 für das Leben jeden Menschen und für das Verstehen unserer Geschichte das Grundverständnis.
2) Der Mensch, Gottes Bild und Gleichnis
2.1 Der Mensch soll einzig Gott zueigen sein
Nach der monotonen Wiederholung an den ersten fünf Tagen „Und Gott sprach, es werde, und Gott schuf“, fällt umsomehr auf, welch ein Einbruch im Redestil der Verse liegt, die der Erschaffung des Menschen gewidmet sind: „(26) Und Gott sprach: Lasst uns den Menschen machen nach unserem Bild und Gleichnis (uns ähnlich) … (27) Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1,26-27).
Es ist evident, dass hier der Höhepunkt der 6-tägigen Schöpfungswoche liegt. Es ist eine unerhörte Neuigkeit, die da ausgesagt wird, die in zwei Richtungen verstanden werden muss. Der zu erschaffende Mensch kommt aus der innersten Liebesmitte des Wesens Gottes hervor: „Lasst uns den Menschen machen – nach unserem Bilde und Gleichnis“. Es ist unsagbar, dass, trotz der absoluten Verschiedenheit zwischen Schöpfer und Geschöpf, eines der Geschöpfe aus solcher Innigkeit Gottes hervorgehen soll, und die Ähnlichkeit mit Gott als innerstes Merkmal an sich tragen muss und darf. Und in der anderen Richtung: Gott nimmt diese Kreatur ganz besonders an sich. Der Mensch, ihm ähnlich, muss ihm in ganz ausschliesslicher Weise gehören. Er wird hineingenommen in die innerste Vertrautheit mit Gott. Das Paradies-Gebot ist nochmals Ausdruck und Beweis dieser Erwählung: der Mensch, der sein Dasein ganz aus Gottes Liebestat empfangen hat, soll in freier Liebeshingabe in diese Gottesgemeinschaft eintreten[5]. Dazu sollte gelesen werden, was der Papst Johannes Paul II in seinen Mittwoch-Katechesen von 1979 bis 1984 über Mann und Frau darlegte.
Wir finden in der Schöpfungsgeschichte der Bibel sowohl den Realismus der risikovollen Lebenserfahrung[6], sowie das Geheimnis des Menschen und der Ehe.
Die Urheiligkeit des menschlichen Lebens bezieht sich nicht nur auf die Innerlichkeit des menschlichen Gewissens, sondern zu dieser Heiligkeit gehört auch die Leiblichkeit und die Zweigeschlechtlichkeit, sowie die Weitergabe des Lebens in der Familie. Das ausschliessliche Zugehören zu Gott drückt sich in der biblischen Botschaft am deutlichsten darin aus, dass der Mensch in freier Liebesentscheidung sich ganz dem liebenden Gotte hingeben darf (Gebot – Gehorsam – Chance freier Liebestat)
2.2 Die Ureinsamkeit des Menschen, auf dem Wege zu Gott
In seiner sehr suggestiven Analyse des zweiten Genesiskapitels sprach der Papst am 10. Oktober 1979 von einer doppelten Einsamkeit des Menschen.
Der Mensch steht zwar in einer tiefen Bezogenheit zu allen ihn umgebenden Geschöpfen. Das 2. Kapitel von Genesis zeigt in einem erhabenen Bilde, wie der Mensch inmitten aller Kreaturen seine Funktion als König des Alls übernimmt, indem er jedem Ding seinen Namen gibt, aber wie er trotzdem in einem doppelten Sinne einsam bleibt. Der Papst eröffnet hier eine Perspektive seltener Schönheit.
Bei all seiner Ähnlichkeit und seiner ursprünglichen Verwiesenheit auf die Welt, aus deren „Staub“ er gebildet ist, bleibt der Mensch eben doch in einer letzten und unaussprechbaren „Einsamkeit“. Es handelt sich hier zuerst um die Einsamkeit des Menschen als solchen (Mann und Frau); also nicht bloß um das dem Manne aus der Abwesenheit der Frau erwachsende Ungenügen[7]. Der Papst insistiert auf einer doppelte Einsamkeit:
- die eine erwächst dem Menschen aus seinem tiefsten geschöpflichen Wesen, das heisst aus seinem Geschöpfsein in Vernunft und Liebe (besonders deutlich im 2. Kapitel der Genesis). Die bleibende Not des Geschöpfes, den Schöpfer zu finden;
- die andere Einsamkeit entspricht der gegenseitigen Bezogenheit von Mann und Frau.
Diese seine innerweltliche Einsamkeit wird erfüllt durch das Gegenüber von Mann und Frau, soll ihm aber zugleich Verweis sein auf den absoluten Gott.
Die erste Form der Einsamkeit, die metaphysische, hat nichts mit der Verstossenheit des sündigen Menschen zu tun. Es handelt sich um das tiefste in sich selber Unerfülltsein des Menschen, indem er in seinem ganzen Wesen auf einen Andern, auf Gott, verwiesen ist. Auch wenn wir glaubend wissen, dass im Paradiese dem Menschen eine gnadenhafte Verbundenheit mit Gott gegeben war, so setzt eben gerade diese Gratuität der Gnade voraus, dass der Mensch sich selber immer nur als ungenügend erfahren kann. Auch erfüllt von der Gnade, weiss er, dass er aus sich selbst immer nur in absoluter Bedürftigkeit, in unendlichem Durst auf das Wahre, das Gute, das Schöne, auf Gott verwiesen bleibt.
2.3 Die Zweigeschlechtlichkeit als voller Ausdruck des Gottesbildes und Weg zu Gott
Es genügt ihm nie, Teil diesen Universums zu sein. – Im Umgang mit der Welt (Gen 2,19) lernt der Mensch sich selbst in Frage zu stellen. Warum ist keine andere Art des Geschaffenen ihm vergleichbar? Selbst in der beglückenden Beziehung zur Frau eröffnet sich das Geheimnis nochmals. Wie sehr sich Mann und Frau auch ergänzen und bereichern, so kann weder er noch sie jemals erfüllt werden durch ein Geschöpf. So müssen und dürfen Frau und Mann, auf ihrem gemeinsamen Wege zu Gott, einander gleichsam geheimnisvoll Spiegel des unsichtbaren, alles seligmachenden Gottes sein, Gefährte und Gefährtin – in Freud und Leid – und Zeichen lebendiger Hoffnung.
So wird gerade an der Zweigeschlechtlichkeit und an der gegenseitigen Bezogenheit von Mann und Frau nochmals klar, was der Mensch eigentlich ist. Während alle andern Dinge geschaffen sind nach ihrer eigenen Art, ist der Mensch das einzige Wesen, das nicht nach seiner, sondern nach einer fremden Art geschaffen ist. Nur Gott kann ihm ganz genügen. Keine Philosophie hat das grossartiger ausgedrückt. So wird auch sichtbar, dass die Heiligkeit des einzelnen Lebens ein Auftrag ist, denn seine Heiligkeit muss zur Heiligkeit der andern werden, in der Freundschaft, in der Ehe, der Familie und der Gesellschaft. Darin liegt die volle Würde und der Auftrag der Zweigeschlechtlichkeit.
Hier ist die Zweigeschlechtlichkeit weder dämonisiert, noch mythologisch vergöttlicht. Jeder muss für den andern (nicht nur, aber gerade auch in der zweigeschlechtlichen Dualität) gnadenhaft Gottesbild sein. Darin zeigt sich in unvergleichlicher Tiefe, wie jede Mitmenschlichkeit, aber gerade die Zweigeschlechtlichkeit einerseits in Liebe Ausdruck Gottes, aber andererseits auch Weg zum Wachsen auf Gott hin sein muss.
Hier wäre die sehr wesentliche Überlegung anzustellen über den Sinn der Jungfräulichkeit und geweihten Ehelosigkeit. Diese will ja gerade den letzten und endgültigen Sinn aller mitmenschlichen Liebe vorwegnehmend darstellen. Jungfräulichkeit um des Himmelreiches willen wird so der Ehe und jeder suchenden Mitmenschlichkeit in höherem und tieferem Sinne zum Vorbild und Zielbild.
Wichtig ist schlicht und entschieden festzustellen, dass nach Gen 1,27 beiden Geschlechtern die absolute, vor Gott geltende Gleichwertigkeit zusteht. Was die zwei in ihrer Ergänzungsbedürftigkeit und Ergänzungsfähigkeit sind (Kap. 2), das müssen sie gerade als gleichwertiges Gottesbild sein. „Über alle Kulturen hinweg ist hier das Verhältnis Mann und Frau als Personen zur Grundform menschlicher Gemeinschaft erhoben“[8] . Nicht Unterordnung, sondern Polarität auf dem Weg zu Gott.
2.4 Die Freundschaft mit Gott
Scheffczyk (III,74) weist hin auf die refrain-artige Wiederholung: „und Gott sah dass es gut war so“, womit die Schrift aussprechen will, dass der vollkommene Gott, vor der Ursünde und aus reiner Schöpferliebe, seinem höchsten irdischen Geschöpfe „das Siegel der seinsmässigen Güte und Makellosigkeit“ gab. Es genügt nicht, die Gottesbildlichkeit des Menschen vor allem in seiner Vernünftigkeit, oder in seiner Erhabenheit über alle Geschöpfe, oder etwa in seinem aufrechten Gange sehen zu wollen. Dies ist wichtig und konstitutiv für seine Wesenheit. Aber das Bild Gottes besagt etwas viel Tieferes. Während alle Geschöpfe nur mittelbar zu Gott stehen (nämlich soweit der Mensch sie erkennt und in ihnen Gottes Spuren findet), ist der Mensch das einzige irdische Geschöpf, das in einem unvergleichlichen, unmittelbaren Gegenüber zu Gott steht. Der Mensch soll im Garten Gottes, im Paradiese wohnen; Gott nimm sich hingebend an um die Einsamkeit des Menschen. Der Mensch ist umgeben von Sorge und Liebe Gottes. Auch das Gebot im Paradies, die Berufung zur Bewährung des Menschen in seiner geschöpflichen Freiheit, ist nochmals höchster Anruf Gottes auf den Weg des Lebens und der göttlichen Erfüllung. All diese heilige Verbundenheit mit Gott ist mit dem Schöpferakte Gottes immer mitgemeint. So ist es im empfangenen Kinde, im Embryo, wie im erwachsenen Menschen. Gewiss, seit der Ursünde muss jeder durch die Taufe der Macht des Bösen entrissen und wieder in Gottes Gemeinschaft geführt werden. Das abscheuliche Verbrechen der Abtreibung (GSp 51.3: „crimen nefandum“) vergeht sich an der Schöpfertat Gottes selbst, der das werdende Geschöpf schon angerufen hat zu dieser göttlichen Intimität.
2.5 Die Gottentfremdung
Gerade vor der Höhe und Tiefe der Berufung des Menschen durch Gott wird klar, wie abgrundtief das Unglück der Sünde ist. Wenn Gott ihm neue Hoffnung gibt, kann der Mensch seine Vollkommenheit nur finden, wenn er sich nicht verbannt zur gottfernen Einsamkeit. Nur bei Gott kann er Erfüllung, Ewigkeit, Leben, Liebe ohne Grenzen finden. Und in diese göttliche Berufung hinein muss jeder Mensch seine Mitmenschen führen. Jeder Mensch muss immer seinem Nächsten Zeichen dieser Hinordnung, dieser Gottbezogenheit sein. Sonst wird der Mensch dem Menschen zum Verführer, wie beim Untergang des Paradieses. Also, die Sorge um den Nächsten ist voll hineingenommen in das innige Verhältnis zum Heiligen Gott. Ohne Gottinnigkeit versinkt die Mitmenschlichkeit in die Leere der Ziellosigkeit, oder wird erdrückt unter der Last erschöpfter Sinnenlust . Doch an dem sich Annehmen um den Nächsten wird die Gottesfreundschaft gestärkt und wahr.
3) Geschöpf des Dreifaltigen Gottes
3.1 Daten der Bibel
Wenn dies auch nicht so ausdrücklich im AT feststeht, so ist für den Christen eben doch klar, dass er nicht Gottesbild sein kann, ausser er sei Bild des Dreifaltigen Gottes. Gewiss, erst im Lichte des Neuen Testamentes ist es möglich, gewisse Andeutungen des AT zu entschlüsseln. Das „WORT des Herrn“ (Lógos) gilt als das schöpferische Tun Gottes, aber auch als jene heilige Macht, die der Geschichte Israels Richtung, Kraft und Ziel gibt (Psalm 33,6; 1 Sam 9,27; 2 Sam 7,4). Dieses Wort ist auch die „Weisheit“ Gottes (cf. Spr 8,27; Weish 7,24ss; 8,1; 8,18) (cf. Scheffczyk III,115). Die Ausdrucksform dieser Weisheit (sophía) ist so stark, dass der hochgelehrte, tiefgläubige hellenistische Jude Philo meint, darin ein zweites Gottsein erkennen zu müssen (deúteros theós).
Es ist nicht nötig, in dem Geiste, der „über dem Abgrund und dem Wasser schwebt“ eine ausdrückliche Offenbarung der dritten göttlichen Peson zu vermuten. Doch im NT erhellt sich, wie der so oft genannte, als Ausdruck Gottes in die Welt hinein gesandte Geist, letztlich eben gerade doch der heiligende, alle Erlösung vermittelnde persönliche GEIST ist.
Im Johannesevangelium wird die Schöpferrolle des „Wortes“ zu höchster Bedeutung erhoben (Joh 1,1-14; 1Joh 1,1; Apok 19,13). Das heisst dann aber, dass das in der Schöpfung Ausgedrückte eine innertrinitarische Tiefe und Bedeutung hat.
3.2 Lehre der Kirche
Das IV Laterankonzil erhob es zum Glaubenssatz, dass die „Dreifaltigkeit … allein der Ursprung von allem ist, ausser dem man keinen anderen finden kann“ (DH 804: (quae … Trinitas sola est universorum principium, praeter quod aliud inveniri non potest“).
3.3 Die Fülle unserer Berufung
Wenn Gott, unsere Ziel, die einzige Seligkeit ist, dann wird verständlich, dass jeder Mensch in seinem innersten Wesen aus dem Geheimnis dieses Dreifaltigen Gottes stammt. Gott nimmt nichts „Fremdes“ in sich auf, sondern das aus seinem Herzen Geschaffene. Da ER, der Absolute, als unser Ursprung auch nur unser volles beglückendes Ziel sein. Die volle Würde und das Ziel des Menschseins ist gerade diese dreifaltige Beziehung: zum Geiste, der uns Gottes Frieden schenkt und uns die Kraft gibt, die Welt zu erleuchten und Einheit zu schaffen; zum Sohne, der uns Anteil haben lässt an seiner überquellenden göttlichen Liebe, die immer aus Gott stammt und zu Gott führt, und darin uns schon Anteil gibt an seinem ewigen Königtum; zum Vater, als letztem Ursprung und sich schenkendem, beglückendem Ziele, denn er ist der „Vater, der alles in allem“ sein will (1 Cor 15,28).
4) Erschaffen in Christus, durch Christus und für Christus
4.1 im Johannesevangelium und bei Paulus
Wie eben angedeutet, entfaltet sich schon im Prolog des Johannesevangeliums diese dreifaltige Wahrheit über den Menschen (und über des All). „Das Wort war bei Gott und das Wort war Gott … Und alles ist durch es geworden, und ohne es ist nichts geworden“ (Joh 1,1-3).
Bei Paulus erfährt dieser Gedanke eine geradezu dramatische Ausdeutung. Hier ist die Schöpferrolle Christi nicht weniger thematisiert: „So haben wir nur einen Gott, den Vater. Von ihm stammt alles, und wir leben auf ihn hin. Und einer ist der Herr Jesus Christus. Durch ihn ist alles, und wir sind durch ihn“ (1Kor 8,6)[9].
Von unübertrefflicher Deutlichkeit ist der Kolosserbrief 1,15-18a:
15 „Er ist das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene vor aller Schöpfung.
16 Denn in ihm ward alles erschaffen, im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, …alles ist erschaffen durch ihn und auf ihn hin.
17 Und er ist vor allem, und alles hat in ihm Bestand.
18 Er ist das Haupt seines Leibes, der Kirche.“
4.2 Protologie und Eschatologie
Das gläubige Erkennen der Lehre Jesu und seiner österlichen Allmacht gibt uns die Gewissheit über den endgültigen Sinn der Geschichte (Eschatologie). Analog, dieselben Machterweise Gottes in Geschichte verlangen eine radikale Überlegung über den Anfang des Alls, eine Protologie. – Das Kreuzesgeheimnis und der Ostersieg haben ihre volle Bedeutung dann erreicht, wenn dieselbe Ostergnade in uns denselben Sieg realisiert haben wird. Das durch ihn und das für ihn im Schöpfungsakte ist die protologische Vorwegnahme dessen, was die Eschatologie unserem Glauben verspricht: „Danach ist das Ende, wenn er Gott dem Vater die Königsherrschaft übergibt… Denn er muss als König herrschen… Ist aber einmal alles ihm unterworfen, dann wird auch der Sohn selber sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei“ (1Cor 15,24-28). Nur der, durch den alles erschaffen wurde, kann auch der Erlöser und Vollender sein (cf. Ef 1,10-12).
4.3 Kosmische Weite im grossen Christuslob der Kirche
Wenn auch diese Heiligkeit erst in der Taufe voll und unfehlbar hergestellt werden kann, so lässt sich eben doch nicht leugnen, dass die Schrift schon jegliches Geschöpf in Christus auf Gott hin bezogen sieht. (Um es nochmals zu betonen, „auf Gott hin“ ist nicht etwas äusseres, moralisches, sondern besagt die Zielhaftigkeit auf das innerste, heilige und angebetete Wesen Gottes.) – Dazu, dass alle Christen Anteil haben an der bestimmten Berufung, die Mitmenschen in diese göttliche Bestimmung hineinzuführen, sei hier ein Vergleich gestattet. Ein jüdisches Mädchen wurde nicht wie die Knaben durch die Beschneidung dem Volke Gottes einverleibt. Aber durch das glaubende Gebet der Mutter und des Vaters hat auch jedes Mädchen genauso zum heiligen Volke Gottes gehört. Die christliche Mutter, die heute über das Kind in Ihrem Mutterschosse betet, gibt das Kind zurück in die heilige und ewige Ordnung, wo „alles vom Vater stammt und auf IHN hin leben muss, und wo alles durch den einen Herrn Jesus Christus ist“ (1Kor 8,6)[10]. Das Gebet der Eltern über das ungeborene Kind feiert schon die hl. Berufung des menschlichen Lebens und ist wie der vorweggenommene Introitus der (vielleicht noch nicht ganz nahen) Taufe, in der die Erlösung voll und unfehlbar geschenkt wird.
Das Leben ist heilig von seiner göttlichen Bestimmung her. Im Gebete und vollkommen in der Taufe und in den Sakramenten wird der Fluch der Ursünde besiegt. Und jeder Mensch kann an dieser Heiligkeit für sich und für die anderen mitbauen. Besonders die Familie, Mutter und Vater, haben hier eine heiligende und göttliche Vermittlung.
Die Kirche kann nicht die Heilige Messe, dieses Hohelied der hl. Liturgie feiern, ohne immer und jeden Tag in reiner Glaubensgewissheit alle Menschen in die anbetende Lobesformel (grosse Doxologie) mit einzubeziehen:
Durch Ihn und mit Ihm und in Ihm
ist Dir Gott allmächtiger Vater,
in der Einheit des Heiligen Geistes,
alle Herrlichkeit und Ehre!
Amen.
[1] Wo nichts anderes gesagt wird, bezieht sich Scheffczyk III auf das Werk Scheffczyk Leo, Schöpfung als Heilseröffnung, in: Leo Scheffczyk und Anton Ziegenaus, Katholische Dogmatik, dritter Band.
[2] Wesentlich für die Mythen ist die immanente Schau des Werdens der Götter und der Menschen. Besonders illustrativ ist dafür der babylonische Mythos „Enuma elisch“ (1700 vor Christus), nach dem das Werden der Götter nur die erste Phase des Entstehens des Alls aus dem Ur-Chaos darstellt. Scheffczyk (III, 60) referiert auch den 1000 Jahre älteren Mythos der Sumerer, „Dilenum“, nach dem der Ursprung der Welt das Resultat eines Begattungskampfes zwischen Naturkräften ist, zwischen Ozean und Mutter Erde, woraus neue Götter, und in der Folge Geschöpfe entstehen.
[3] Cl. Westermann, Schöpfung, 58 unterscheidet in den Traditionen der verschiedenen Kulturen vier Typen: (cf. Scheffczyk, p. 61) a) das Hervorbringen der Welt durch ein dem menschlichen Machen ähnliches Tun; b) die Erschaffung durch Zeugung und Geburt der Götter (und nachfolgendem Hervorbringen der übrigen Dinge);
c) das Entstehen der Welt durch Kampf der Götter (des Gottes) mit entgegengestellten kosmischen Mächten.;
d) die Schöpfung durch das Wort als göttlichen Befehl. Scheffczyk gibt zu, dass im jahwistischen Bericht Elemente des Machens nach Art des Menschen vorhandne sind (das Formen aus Lehm). Das mindert aber keineswegs die absolute Souveränität des Schöpfers. Auch wo in Mythen (z.B. Babylon) das Wort vorkommt, handelt es sich letztlich doch nur um „Kosmogonien“, wo die Götter selbst ein Teil, die erste Phase des Entstehens des Alls sind (Kosmogonie: das Werden des Kosmos).
[4] J. Nelis, Schöpfung, in: Haag, Bibellexikon, 1543. Ausser dem Vorkommen in Ex 34,10; Nm 16,30; Jr 31,22 ist der Ausdruck praktisch nur in exilischen und nachexilischen Texten zu finden. Wichtig ist zu merken, dass der Ausdruck vor allem in Gen 1,1-2,4a (7x) und im DtIs (16x) gebraucht wird. Allerdings vermerkt H. Gross, Theologische Exegese von Gen 1-3, in: Myst Sal II, 429, dass im DtIs es sich „vor allem auch um die Neuschöpfung in der Heilszukunft“ handelt. - Wenn auch die neueste Exegese über die Identität des „Jahwisten“ wieder diskutiert, ist doch festzuhalten, dass Gen 2,4b-3,24 einer wesentlich älteren Zeit angehört als der Priesterkodex in Gen 1,1-2,4a. Da der Jahwist sichtbar mythische Erzählungselemente nicht verabscheut (Formen aus Lehm, Einblasen des Lebensodem), ist nach der schweren Erfahrung in Babylon, mit den ausdrucksmächtigen Mythen, verständlich, dass mit einer strengeren Sprache jede Gefahr der Annäherung an Mythen vermieden werden muss. Deshalb in Gen 1 die stereotypisch wiederholten Wendungen: „Gott sprach …Es werde … Und Gott machte es …“.
[5] Wo Jesus diese Ähnlichkeit mit Gott noch enger schliesst: „dass alle eins seien … wie auch wir eins sind“ (Jo 17,20-22), sagt das II Vat. Konzil: „Dieser Vergleich macht offenbar, dass der Mensch, der auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur ist, sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst vollkommen finden kann“ Gaudium et Spes, 24 (sub finem)
[6] Der Kampf ums tägliche Brot, die Last des menschlichen Beieinanderseins.
[7] Bevor es um die Erschaffung der Frau geht (Gen 2,21-22), heisst der Mensch einfach „Mensch“ (“’adam”). Erst nach dem Erscheinen der Frau wird sein Name differenziert zu “’îš”, Mann und “’iššah”, Frau.
[8] Vgl. Scheffczyk, III, S. 77
[9] Man kann bei Paulus von einem wahrhaft „kosmischen Christus“ sprechen (Eph 1,4.10; Kol 1,15-18a; Heb 1,3). Dazu ist auch zu beachten die schöpferische Rolle des „Wortes“. (Scheffczyk III,117).
[10] Hier möchte ich speziell verweisen auf den einmalig teifen Artikel von Leo Kardinal Scheffczyk, Dignità del Bambino (Die Würde des Kindes) in: Päpstlicher Familienrat, Lexicon, Termini ambigui e discussi su famiglia vita e questioni etiche (2003), 177-184.